Griechenland braucht Hilfe zur Selbsthilfe

250.000 Menschen werden alleine von der orthodoxen Kirche mit kostenlosen Speisen versorgt. Um in den Schutz einer kostenlosen Krankenversicherung zu gelangen, stecken sich immer mehr Menschen mit dem Aids-Virus an. Der Bestseller des Landes lautet “Rezepte gegen den Hunger” und ist eine Sammlung von Kochrezepten aus der Zeit, in der im Zuge der Besatzung durch die Wehrmacht 300.000 Einwohner des Landes ihr Leben verloren haben. Die Rede ist von einem EU-Mitgliedsstaat: Griechenland.

Die Lage im Land spitzt sich zu. Zwar haben die Finanzminister der Eurostaaten im Februar ein weiteres Hilfspaket für Griechenland geschnürt. Doch man gewinnt immer stärker den Eindruck, dass es ihnen nicht mehr um die Menschen in Griechenland geht, sondern darum die Finanzmärkte und die Populisten im eigenen Land zu beruhigen. Ginge es um Wohlstand, Jobs, den Mittelstand, die Realwirtschaft und damit letztlich um die Menschen, wären die an das zweite Hilfspaket geknüpften Auflagen für Griechenland andere. Dann würden nicht Mindestlöhne oder Renten gekürzt, sondern Vermögen besteuert, Steuerhinterzieher strafrechtlich verfolgt oder der Mittelstand endlich entlastet. Doch während die Regierungen über EFSF, ESM, “Anreizstrukturen” für die Haushaltskonsolidierung und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes schwadronieren, bahnt sich in Griechenland eine humanitäre Katastrophe schleichend, aber beständig ihren Weg.

Auch der deutsche Bundestag zog vergangene Woche nach und gab dem zweiten Hilfspaket für Griechenland seinen politischen Segen, wobei die Frage nach der Kanzlermehrheit angesichts der dramatischen Lage wirklich zweitrangig ist. Problematischer ist aber, dass ein über Parteigrenzen hinaus gehendes Signal fehlt: Wir haben nicht nur ein ökonomisches Interesse daran, Griechenland zu helfen, sondern auch ein menschliches. Niemand in der Welt versteht es, dass das reiche Europa zusieht, wie aus Griechenland ein Entwicklungsland wird. Überträgt man die Verhältnisse in Athen auf uns, würde dies bedeuten, dass wir über eine Million Menschen aus dem öffentlichen Dienst entlassen, unsere Wirtschaftskraft seit 2009 um etwa 350 Milliarden Euro zurückgeht und wir (die Auflagen des zweiten Pakets nicht mitgerechnet!) etwa noch mal so viel Geld bis 2014 in unserem Haushalt einsparen müssten. Würden wir in so einer Situation wollen, dass unsere Freunde mit dem Finger auf uns zeigen statt uns die Hand zu reichen?

Ohne eine massive Steigerung Binnennachfrage, ohne gezielte Investitionen in Kernindustrien, Infrastruktur, Forschung und Entwicklung wird die griechische Volkswirtschaft nicht wachsen können. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen kann eine Umwidmung und einfachere Genehmigung von Hilfsgeldern aus den regionalpolitischen Programmen der EU hilfreich sein. Außerdem könnte sich die Europäische Investitionsbank an der Finanzierung von Konjunktur- und Wachstumsprogrammen beteiligen oder sie selbständig durchführen. Klar ist: Hierbei kann es nicht um eine dauerhafte Subventionierung Griechenlands gehen, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe.