"EuGH-Urteil stellt Entsenderichtlinie auf den Kopf"

Das Urteil zum Vergabegesetz in Niedersachsen verkehrt die Entsenderichtlinie ins Gegenteil und macht gesetzliche Mindestlöhne noch dringlicher.

“Es ist sehr bedauerlich, dass der Europäische Gerichtshof erneut die Dienstleistungsfreiheit über den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellt. Das Urteil verkehrt die Entsenderichtlinie ins Gegenteil und erklärt den Mindestschutz zum maximal zulässigen Schutz. Das ist nicht im Sinne des Europäischen Parlaments.” Mit diesen Worten kommentiert der hessische SPD-Europaabgeordnete Dr. Udo Bullmann das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Vergabegesetz des Landes Niedersachsen.

Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht generell an die Einhaltung von Tarifverträgen gebunden sein darf. Bund, Länder und Kommunen können sich bei der Auftragsvergabe jedoch auf gesetzliche Mindestlöhne beziehungsweise allgemeinverbindliche Tariflöhne beziehen. Ein Verweis auf ortsübliche Tariflöhne, die über den Mindestlöhnen liegen, beschränkt nach Ansicht des EuGHs hingegen die Dienstleistungsfreiheit. “Hier wird der Binnenmarkt wieder einmal als Vorwand benutzt, um den Handlungsspielraum des Staates zu beschneiden”, kritisiert Bullmann. “Wir dürfen nicht zulassen, dass der EuGH die Sozialgesetzgebung weiter aushöhlt. Deshalb müssen aus dem Urteil Konsequenzen gezogen werden. Wir brauchen eine Klarstellung, dass Wettbewerbsregeln keinen Vorrang vor sozialen Grundrechten und dem sozialen Fortschritt haben. Im Konfliktfall müssen die sozialen Grundrechte Priorität genießen”, fordert Bullmann. Darüber hinaus sei das EuGH-Urteil ein Beleg dafür, dass in Deutschland kein Weg mehr an der Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen für alle Branchen vorbei führe.

Hintergrund:

Im Einklang mit den Europäischen Vergaberichtlinien sehen die Tariftreuegesetze einiger Bundesländer vor, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung bestimmter sozialer Kriterien gekoppelt wird. Dazu zählen auch ortsübliche Tarifverträge. Im Fall Rüffert wurde der EuGH angerufen, um die Frage zu klären, ob ortsübliche Tariflöhne auch dann an entsandte Beschäftigte zu zahlen sind, wenn sie über den Mindestlöhnen dieser Branche liegen.