Riesige Investitionslücke in der EU

Die EU- Staats- und Regierungschefs lassen Chance um Chance verstreichen, Jobs für Millionen zu schaffen. Ein Gastbeitrag von mir in der Frankfurter Rundschau.

Vorzeitig haben die Staats- und Regierungschefs das für zwei Tage geplante Gipfeltreffen in Brüssel abgebrochen, bei dem wegweisende Zukunftsthemen diskutiert werden sollten – wie etwa die Investitionsoffensive von Jean-Claude Juncker. Es ist überaus enttäuschend, dass der Kontinent, der wirtschaftlich immer mehr zurückfällt, sich selbst überlassen bleibt.

Während sich die USA bereits 2011 von der hausgemachten Finanzkrise erholt haben, liegt die Wirtschaftsleistung in der EU noch immer hinter derjenigen des Jahres 2008 zurück. Ein wichtiger Grund dafür sind über die vergangenen Jahre fehlende sowie fehlgeleitete Investitionen. Vor der Krise vertraute man in Europa zu sehr auf die Finanzmärkte und auf spekulative Investitionen in den Immobilienmarkt, die hohe Wachstumsraten ohne realwirtschaftliche Anstrengungen vorgaukelten. Als die Krise in Europa ausbrach, mussten viele Staaten im Rahmen der Kürzungspolitik die letzten noch zukunftsträchtigen Investitionen zusammenstreichen.

Den Preis zahlt Europa heute und besonders in der nächsten Generation. Unsere industrielle Basis schrumpft. Es tut sich eine riesige Investitionslücke auf. Jährlich müssten allein in die Infrastruktur 200 Milliarden Euro investiert werden, um Lücken beim Transport, bei der Energie und Breitbandnetzen zu schließen.

Flucht in leere Worthülsen

Für die Energieeffizienz wird der Nachholbedarf auf 50 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. 25 Millionen Menschen in Europa, und damit sieben Millionen mehr als vor der Krise, sind ohne Beschäftigung. In einigen Ländern Europas wächst gar eine Generation heran, die mehr Menschen in Arbeitslosigkeit als in Lohn und Brot kennt. Je länger die Misere anhält, desto heftiger werden die Erosionen. Wird nichts unternommen, könnte Europa eine Phase langanhaltender Stagnation ins Haus stehen.

Vor diesem Hintergrund ist die Investitions-Offensive, zu der die Sozialdemokraten Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erfolgreich gedrängt haben, dringend notwendig, um die europäische Wirtschaft zu beleben und Jobs für Millionen von Europäern zu schaffen. Doch die Staats- und Regierungschefs lassen Chance um Chance verstreichen. Statt darüber zu diskutieren, wie der Juncker-Plan umgesetzt werden kann und wo es dem Programm an der nötigen Substanz fehlt, flüchtete man sich bisher in leere Worthülsen.

Es ist unerlässlich, konstruktiv über Schwachstellen des Plans zu diskutieren, um handwerklich nachzubessern und eine echte Trendwende in Europa einleiten zu können. Folgende Punkte müssen hervorgehoben werden:

Angesichts der enormen Investitionserfordernisse stellt sich die Frage, ob die von Juncker vorgeschlagene Zielgröße des Fonds – 315 Milliarden Euro – ausreicht, um dem kurz- und langfristigen Investitionsbedarf beizukommen. Juncker selbst hat eingeräumt, dass für eine Trendwende Investitionen eher in Höhe von 1000 Milliarden Euro nötig wären. Der Investitionsfonds, der Mittelpunkt des Juncker-Plans, braucht daher eine angemessene finanzielle Ausstattung, um nicht noch eine Wachstumsinitiative in Europa zu produzieren, die sich zu ihren eher minder erfolgreichen Vorgängern gesellt.

Bislang ist der Investitionsfonds mit 21 Milliarden Euro relativ spärlich gefüllt und auf einen obskuren Finanzhebel angewiesen, um Investitionen in Höhe von 315 Milliarden Euro auslösen zu können. Die Beiträge der Mitgliedstaaten – bei entsprechend nachgebesserter Konstruktion des Fonds – sind daher entscheidend für den wirtschaftlichen Aufschwung in Europa. Auch Deutschland hätte beim EU-Gipfel mit gutem Beispiel vorangehen und einen Eigenanteil ankündigen können.

Mit entsprechenden Beiträgen der Mitgliedsstaaten könnte der Investitionsfonds entscheidend in die wichtigsten Zukunftsfelder investieren. Gesamtwirtschaftlich effektive Investitionen wie der Ausbau der Energie-Infrastruktur, die Breitbandversorgung ländlicher Gebiete oder Bildungsprojekte sind häufig nicht im betriebswirtschaftlichen Sinne von vorneherein profitabel. Sie bedürfen daher oftmals – wie auch in der Vergangenheit – einer teils erheblichen Anschubfinanzierung des Staates. Der Fonds in seiner aktuellen Ausrichtung und Größe allerdings kann nur Eliteprojekte für wenige anstoßen – statt den Aufschwung für viele.

Es geht um die Zukunft Europas

Um Fehler wie unter der Troika während der letzten Finanzkrise in Europa zu vermeiden, muss der Juncker-Plan demokratischer Verantwortung unterliegen. Das Europäische Parlament muss demzufolge an den grundlegenden Entscheidungen über die Initiative angemessen beteiligt werden. Dies gilt auch für die Richtlinien zur Vergabe der Fondsmittel. Die Bürger sind es leid, dass die EU große Pläne schmiedet, die am Ende im Sande verlaufen. Sie fordern Mitspracherechte – und Resultate.

Im Januar will die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag zum neu einzurichtenden Fonds vorlegen, der dann bis Juni arbeitsfähig sein soll. Diese Zeit müssen wir nutzen, um das Schiff möglichst flott zu machen. Auch die Staats- und Regierungschefs sollten endlich ihre ideologischen Scheuklappen zum Wohle der Bürger ablegen und einen Beitrag zu dem Fonds leisten. Der, der in die Zukunft investiert, sollte belohnt und nicht bestraft werden.

Für ihre Beiträge zum Modernisierungs- und Investitionsprogramm sollten die Mitgliedsstaaten nicht in gleichem Atemzug im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verurteilt werden. Ausreden darf es nicht mehr geben. Es geht um die Zukunft Europas.

Der Gastbeitrag wurde am Samstag, den 20.12.2014, in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht. www.fr-online.de