Kolumne: Nachgefragt bei Udo Bullmann - Erschienen am 04.09.2016 in den Wetzlarer Neuen Nachrichten

Es brodelt in Europa, wenn es um die Freihandelsabkommen mit den nordamerikanischen Staaten geht. Nach viel Ärger um die Geheimniskrämerei der EU zu TTIP, gibt es jetzt Verwirrung um das geplante Ceta-Abkommen. Vor allem im linken Flügel der SPD und in den deutschen Gewerkschaften gibt es eine klare Stimmung gegen die Abkommen. Wie sehen Sie die Sache?

Lange Zeit wurden Freihandelsabkommen und deren Aushandlung als rein technische Angelegenheit wahrgenommen, die kaum in der öffentlichen Debatte gewürdigt wurden. Das hat sich nun mit TTIP, einem geplanten Abkommen mit den USA, und CETA, einem bereits ausverhandelten aber noch nicht ratifizierten Handelsvertrag mit Kanada, entscheidend geändert. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen zeigen sich besorgt über die Auswirkungen der von der EU verhandelten Freihandelsverträge und mahnen bei den politischen Entscheidungsträgern besondere Vorsicht an. Die klare Botschaft dieser Debatte lautet, dass Handel nicht nur frei, sondern fair sein muss. Eine einseitige Fokussierung auf Marktöffnung und Bürokratieabbau im grenzüberschreitenden Warenverkehr wird abgelehnt. Zu groß sei die Gefahr, so der Tenor der Debatte, dass ansonsten Großunternehmen ungerechte Privilegien zugeschanzt würden und die Allgemeinheit, zum Beispiel durch Rückschritte im Verbraucherschutz, Schaden nähme.

Freihandelsabkommen bedürfen solch einer breiten und kritischen Debatte, denn sie haben reale Auswirkungen auf die Menschen. Selbstverständlich gilt es zu verhindern, dass sich die Befürchtungen bewahrheiten, die derzeit die öffentliche Debatte prägen. Dafür tragen wir Parlamentarier, die den Verträgen zustimmen müssen, besondere Verantwortung. Gleichzeitig darf sich diese Verantwortung aber nicht in Ängstlichkeit niederschlagen. Denn gerade weil Handelsabkommen spürbar wirken, stellen sie auch ein Instrument der Gestaltung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zustände dar. Solch ein Instrument kann in Zeiten der Globalisierung, in denen die Wirtschaft global und in vielen Belangen ungerecht ist, von unschätzbarem Wert sein. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament messen dieser Gestaltungsmöglichkeit größte Bedeutung zu. Wir wollen fortschrittliche Handelsabkommen mit unseren globalen Partnern schließen. Das heißt Abkommen, die Arbeitnehmerrechte stärken, die Umwelt schützen und allgemeinwohlschädigende Unternehmenspraktiken verhindern.

Die Verabredung von solch guten und gerechten Regeln setzt die Bereitschaft unserer Vertragspartner voraus, mit uns den Weg des globalen Fortschritts zu gehen. Die schleppenden TTIP Verhandlungen zeigen, dass dies auf Seiten der USA nicht gegeben scheint. So hat TTIP keine Chance und gleicht, wie mein Kollege und Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament Bernd Lange schreibt, einem toten Pferd, von dem die EU absteigen sollte. Bei CETA scheint der Fall anders gelagert. Auch die aktuelle kanadische Regierung möchte mit CETA nicht nur Wachstum, sondern auch Gerechtigkeit fördern. Ob der Text, der größtenteils noch mit der konservativen Vorgängerregierung ausgehandelt wurde, diesen Anspruch auch wirklich erfüllt, gilt es nun genauestens zu überprüfen – bei 1.600 Vertragsseiten kein leichtes Unterfangen.

Als SPD und Sozialdemokraten im Europaparlament stellen wir uns dieser Aufgabe. Dass hierbei vor dem Beginn der abschließenden Beratungen, in die die SPD im Rahmen eines Parteikonvents am 19. September eintreten wird, unterschiedliche Einschätzungen und Erwartungen geäußert werden, überrascht mich nicht. Vielmehr zeugt dies von einer lebhaften und ernsthaft geführten Auseinandersetzung, die sowohl der Beratungsgegenstand CETA als auch die vielen Bürgerinnen und Bürger verdienen, die dieses Thema beschäftigt. Wichtig ist, dass am Ende eine sachlich richtige Entscheidung steht, die sich vor dem Anspruch, Globalisierung fair und sozial zu gestalten, rechtfertigen lässt. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass Nachbesserungen erforderlich sind – und danach sieht es gegenwärtig aus – werden wir dies einfordern.